Ich habe zahlreiche Geschwister aus 7 Ehen unseres Vaters. Unsere Vorfahren väterlicherseits gehörten zum französischen Hochadel. Zur Zeit der Hexenverbrennungen haben sie Frankreich verlassen und sind nach Schweden gegangen. Unsere Uroma Elisabeth väterlicherseits war eine Comtesse de Cossé-Brissac.
Meine Vorfahren mütterlicherseits waren Schlangenfänger. Sie wurden Natterer genannt. Mein Opa Jacob mütterlicherseits stammte aus Memmingen, war Handwerker auf Wanderschaft, wurde dann in der Bremer Vulkanwerft Kesselschmied und Schiffbau-Kalkulator. Meine Oma Frieda mütterlicherseits hatte ihre Tochter Johanna, meine baldige Mutter, in einem Feuerwehreinsatzwagen geboren.
Unser Opa Ludwig väterlicherseits war Hamburger Kaufmann und Generaldirektor einer Bergwerksgesellschaft im Ruhrgebiet. Unsere Oma Elisabeth väterlicherseits hatte einen Hofstaat und einen Flügel. Nach dem Tod ihres Mannes spielte sie nur noch Beethoven.
Unser Onkel Franz väterlicherseits war Landesbischof in Hamburg und Hitlers Lieblingsprediger. Allerdings hatte er kurz vor seinem Tod seinen redegewandten rassistischen Irrsinn bereut und sich fast auch wieder mit unserem weltoffenen Vater versöhnt.
Unser Onkel Ludwig väterlicherseits war Romanautor, unser Onkel Hans väterlicherseits Schauspieler und Oberspielleiter in Jena, später hat er auch am Hamburger Schauspielhaus gewirkt.
Meine Mutter Johanna war jung und kunstinteressiert, als sie unseren fast 60jährigen Vater Otto Tetjus 1949 in der Bahn kennenlernte. Sie kam aus Bremervörde. Im letzten Krieg hatte sie ihren Mann Hans verloren. Noch schwer verwundet war er aus dem Lazarett geholt und an die Front geschickt worden. Da hatte ihn eine Kugel gekillt. Manchmal hat Johanna sein Tagebuch mit den Blutflecken und dem Projektil aus einer Kiste geholt.
Unser Vater war Hamburger, Lyriker, Romanautor und Maler, in jüngeren Jahren auch Schauspieler, Musiker und Kabarettist. Von den Nazis bekam er Malverbot, seine Gemälde hingen auf der Ausstellung der „entarteten Künstler“ neben Picassos Absinth-Trinkerin und Kokoschkas Windsbraut. Gegen Ende der braunen Diktatur ist unser Vater von der Kunstmafia wegen seines freien und parteipolitisch unabhängigen Geistes, und wohl auch wegen problematischer Liebesgeschichten, aus Worpswede rausgemobbt worden.
Ich wurde 1950 in Bremervörde geboren, im Atelier unseres Vaters begann meine Welt. Mit 20 ging ich nach Hamburg. Dort folgte ein 6jähriges Studium an der Kunstakademie. In der Jugendstilvilla Dettas, der ersten Frau unseres Vaters, und unseres Bruders Tim, bekam ich in Blankenese ein Zimmer mit Peter Behrens-Möbeln. Detta war die Tochter des expressionistischen Hamburger Dichters Richard Dehmel.
Während meines Studiums habe ich weniger gemalt als heute und weniger gehorcht, dafür aber überwiegend gelauscht, geliebt und beobachtet. Danach wurde ich schöpferisch. Ich habe es nicht mehr unterlassen zu produzieren, obwohl die Kaderszene der ausklingenden 1968er Revolution die in der Akademie entstehenden Maler penetrant zu dominieren versucht und deren Arbeitsansatz als bourgeoise Gefallsucht verunstaltet hatte. Bald zog ich nach St. Pauli Nord, ins Karolinenviertel, wo 25 Jahre meines Lebens schnell verstrichen sind.