Lebenskunstwerk Otto Tetjus TÜgel

aus "Worpswede im Frühling" (1999). Text: Tetjus Tügel jr.

Der im Hamburger Cholerajahr 1892 geborene Otto Tetjus Tügel kam 1909 erstmals nach Worpswede. Schon früh bekam er Kontakt mit Gerhart Hauptmann und Richard Dehmel, dessen Tochter er 1918 heiratete. Er durchwanderte Schweden zu Fuß und landete bei Selma Lagerlöf, arbeitete im Land der Mitternachtssonne, im Riesengebirge, in Masuren, in Warschau, Berlin und Hamburg, aber vor allem in Worpswede, wo er bis 1940 blieb. Danach zog es ihn in die nahe Umgebung, nach Bederkesa, Brillit, Bremervörde und schließlich in das Dorf Oese, wo er mit seiner letzten Frau Johanna lebte und bis zu seinem Tode dichtete und malte.

 

"Rasputin im Moor", "Frauenheld", "Don Juan", "Musen verschleiflender Malerpoet", "Entertainer" - alles fade Bezeichnungen als Ausdruck der Irritation, die Otto Tetjus Tügel von seinem 18ten Lebensjahr bis über seinen Tod hinaus in den guten Stuben von Bildungsbürgern und kunstideologischen Sachwaltern wegen seiner Eigenwilligkeit und Vielseitigkeit hervorruft. Beurteilungsschubladen türmen sich auf, in irgendeine sollte er doch passen, damit die statische Ordnung des meinungsbürokratisch verwalteten Kulturbegriffs keinen Schluckauf bekommt. Kunst und Leben laufen nebeneinander her wie zwei verklemmte Liebhaber.

 

Glücklicherweise ist der Kunstbegriff der Gegenwart endlich an dem Punkt angelangt, wo Künstlern die nötige Freiheit zu einer ganzheitlichen Existenz eingeräumt wird: Leben als Künstler ist Kunst. Die Bewertung von Kunst legt kein Gewicht mehr nur auf die Qualitätsbeurteilung einzelner Werke, sondern auf die Intensität und Authentizität, mit der Künstler reagieren. Dabei wird Leben zum Maßstab. Eindimensionale Kunstkritik landet auf der Müllhalde. Avantgarde ist nicht mehr eng definiert, sie überwindet ihre zeit- und ortsgebundene Abhängigkeit.

 

Für Otto Tetjus Tügel gab es die im bürgerlichen Leben stets säuberlich vollzogene Trennung zwischen Beruf, Liebe, Kunst, Literatur, Wissenschaft, Vergnügungen etc. nicht. Dafür lebte er eine poetische Existenz, die sich unbewußt aus sich selbst hervorgebracht hat, und für die es nur den einen, alles Wesentliche abdeckenden Bereich zwischen Geburt und Ewigkeit, gab. Er sah sich als Rezeptor in Form einer bizarren Birke, durch Wind und Wetter gefordert, doch fest im Fundament Erde verankert.

 

Mit Dichtung und Malerei hat er keinen rein gestalterischen Lebenszweck verfolgt, sondern die Verknüpfung von poetischer Wahrnehmung und ästhetischer Erfahrung mit einer Bewußtseinswelt angestrebt, die sich auf seiner Schwedenwanderung formiert hat, und die er schließlich auf das Moorland übertragen und zu einem Leben als Kunstwerk entwickeln konnte; doch seine Persönlichkeit und seine Produkte waren zu sehr miteinander verknüpft, als daß man sie auf Dauer einer Richtung hätte zuordnen können. Weder für die Nazis (auch er galt als "entartet" und hatte Malverbot), noch für spätere ideologische Gruppierungen, und noch weniger für den "Kunstmarkt" war sein Werk geeignet. Dafür aber umsomehr für die erdnahe Landbevölkerung, die sich von ihm verstanden wußte. Tügel beherrschte die Sprache der Moorbauern ebenso wie die der Menschen, denen eine differenzierte Wahrnehmung nicht fremd ist.

 

Im vitalen Worpswede nach dem ersten Weltkrieg hat er expressionistische Tänze und ein expressives Lebensgefühl verbreitet. Neben Saufnächten, Schlägereien, mutwilligen Übertreibungen und leidenschaftlichen Verwicklungen gab es viel Poesie und intensive Freundschaften, "weihevolle Kunstrezeption" erschien lächerlich.

 

Schließlich kamen die ersten Erfolge. Das Stockholmer Museum, die Hamburger Kunsthalle und eine Galerie in Stuttgart kauften seine Gemälde. Seine Intension fiel auf. Er sollte in Übersee Professor werden. Doch er blieb in Deutschland. In Hamburg stand er auf allen Literaturbühnen, inszenierte die großen Künstlerfeste im Curiohaus, gründete den Bronzekeller, ein literarisches Kabarett. Mit Ernst Rowohlt, Christian Wegener, dem Dichter Carl Albert Lange, dem Maler Udo Peters und dem Komponisten Ernst Licht war er langjährig befreundet. Julius Bab (1933 nach New York ausgewandert), neben Alfred Kerr Berliner Literatur- und Theaterpapst, hat sich oft mit Tügel, dem "Genie des Fleißes und des Lasters" beschäftigt.

 

Otto Tetjus Tügel hat sich selbst als einen "einfachen Dichterling" bezeichnet, der, "ein Stück Erde in der Hand, nicht gefragt werden kann, woher sie stamme oder aus welchen Bestandteilen sie bestehe, sondern sich nur ihrer göttlichen Ewigkeit bewußt ist."